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Gleichen die aktuellen Tarifabschlüsse die Inflation aus?

  • Beitrags-Kommentare:Ein Kommentar

Die Kaufkraft von Beschäftigten schwindet derzeit im Rekordtempo. Ursache ist die historisch hohe Inflation. Einzig in den 1950er Jahren war die Inflation in Deutschland durch den Koreakrieg noch höher. Für viele junge Menschen ist es wohl das erste Mal, dass sie die Geldentwertung wie eine Eruption statt einem schleichenden Prozess wahrnehmen. Die Reallöhne sanken zuletzt zum Teil merklich um bis zu 4,6 %. [1]

Zur Kompensation der hohen Inflationsraten fordern die großen Gewerkschaften deutliche Gehaltssteigerungen, um die Arbeitnehmer zu entlasten. Zuletzt erzielte die IG Metall nach flächendeckenden Warnstreiks für rund 3,9 Millionen Beschäftigte ein deutliches Lohnplus von 8,5 % in zwei Schritten sowie eine steuerfreie Zahlung von 3000 €, die ebenfalls in zwei Schritten ausgezahlt wird. Die Laufzeit für diesen Tarifabschluss beträgt zwei Jahre.

Ein gutes Ergebnis, aber die entscheidende Frage für die Arbeitnehmer ist nun, inwieweit diese Gehaltssteigerungen ausreichen, um den Kaufkraftverlust durch die Inflation aufzufangen. Dies werden wir im Folgenden exemplarisch anhand des Tarifabschlusses in der Metall/Elektro-Industrie untersuchen. Dabei werden wir neben den Inflationsraten für die Jahre 2021 und 2022, auch die prognostizierten Inflationsraten für die nächsten zwei Jahre berücksichtigen, da der ausgehandelte Tarifabschluss bis November 2024 läuft.

Historische Entwicklung – Reallohnindex vs. Nominallohnindex

Das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen ist in den vergangenen 15 Jahren – bis auf eine Ausnahme – stets gestiegen. Die einzige Ausnahme bildet mit 2020 das erste Jahr der Corona-Pandemie. Dennoch ist das durchschnittliche Einkommen über den gesamten Zeitraum nominal erheblich gestiegen, von 3023 € im Jahr 2007 auf 4100 € im Jahr 2021. Die Entwicklung ist in Abbildung 1 graphisch dargestellt.

Diese Abbildung zeigt die Entwicklung des durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst in Deutschland.
Abbildung 1: Entwicklung des durchschnittlichen Bruttomonatsverdiensts in Deutschland. [2]

Die größte absolute Steigerung gab es von 2020 auf 2021 mit einem Zuwachs von 125 €. Allerdings hat uns die Preisentwicklung der letzten zwei Jahre, sei es an der Tankstelle oder der Supermarktkasse, gezeigt, dass die nominale Entwicklung allein keinerlei Aussagekraft besitzt. Am Ende des Tages ist es für Konsumenten entscheidend, wie viele Güter und Dienstleistungen sie von ihrem Geld kaufen können, nicht wie viel Euro sie am Monatsende überwiesen bekommen. Um die reale Einkommensentwicklung einer Gesellschaft einschätzen zu können, muss daher der Reallohn herangezogen werden, der die Entwicklung des Nominallohns in Verhältnis zur Entwicklung des Preisniveaus setzt.

Das statistische Bundesamt berechnet für Deutschland den Reallohn- und Nominalindex wie folgt:

Formel zur Berechnung des Reallohnindex

Näherungsweise entsprechen Änderungen des Reallohnindex der Nominallohnänderung abzüglich der Inflation. In Abbildung 2 ist die Entwicklung für Deutschland seit 2008 dargestellt.

Die Abbildung zeigt die Entwicklung der prozentualen Veränderung des Reallohnindex und Nominallohnindex gegenüber dem jeweiligen Vorjahresquartal.
Abbildung 2: Entwicklung der prozentualen Veränderung des Reallohnindex und Nominallohnindex gegenüber dem jeweiligen Vorjahresquartal. Außerdem ist die Entwicklung der Inflation abgebildet. Die Werte von 2022 waren zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Blogbeitrags nur vorläufig. [1]

Die Abbildung verdeutlicht den einschneidenden Einfluss der zurzeit hohen Inflation auf die Kaufkraft. Obwohl die Löhne 2022 nominal um 2,0 bis 4,7 % gestiegen sind, mussten die Konsumenten einen Reallohnverlust von ca. 4,6 % im Vergleich zum dritten Quartal des letzten Jahres hinnehmen. Die Ursache liegt in der hohen Inflationsrate von zurzeit über 8 %. Ein Vergleich zu den Folgen der großen Finanzkrise, die zu einem realen Lohnverlust von weniger als 1 % führte, verdeutlicht wie außergewöhnlich die derzeitige Entwicklung ist.

Jetzt wollen wir den Blick auf die Tarifabschlüsse richten, in denen die Gewerkschaften hohe nominale Lohnsteigerungen durchsetzen konnten. Sind diese Tarifabschlüsse in der Lage die hohe Inflation aus 2021/2022 auszugleichen? Da der Tarifabschluss eine Laufzeit von zwei Jahren hat, müssen wir aber auch die prognostizierte Inflation für die nächsten zwei Jahre in die Berechnung mit einbeziehen.

IG Metall Tarifabschluss – Einfluss auf Reallohnentwicklung

Als Fallbespiel für unsere Betrachtung werden wir die Tarifstufe EG 10 des IG Metall Tarifvertrags von NRW verwenden. Der Bruttoverdienst beträgt für diese Gehaltsgruppe inklusive tariflich vereinbarter Leistungszulage (in der Tarifkarte als nachrichtlich bezeichnet) derzeit 3767,50 € im Monat bzw. 45210 € im Jahr. [3] Dazu kommen aber noch zusätzliche Tarifbestandteile wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, T-ZUG (prozentualer Bonus vom Monatsverdienst, er unter Umständen auch als Freizeitausgleich genommen werden kann) und Transformationsgeld (prozentualer Bonus vom Monatsverdienst) in % vom Monatsverdienst:

  • 18,4 % Transformationsgeld
  • 72 % Urlaubsgeld
  • 27,5 % T-ZUG A
  • 55 % Weihnachtsgeld

Das T-ZUG B habe ich nicht berücksichtigt, da es vom Arbeitgeber gestrichen werden kann. Insgesamt kommen wir somit auf einen Jahresverdienst von 51031 € bzw. Monatsverdienst von 4253 €. Dies entspricht ungefähr dem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst in Deutschland von 4100 €.

Dieser Tarifabschluss wurde am 30. März 2021 geschlossen – Obwohl bei diesem Abschluss nur das T-Geld dazugekommen ist (welches im Februar 2022 zum ersten Mal ausgezahlt wurde), beim monatlichen Grundverdienst gab es schon seit April 2018 keine Anpassung mehr. Dennoch werden wir für unsere Betrachtung für den Kaufkraftverlust den 30. März 2021 als Referenzpunkt heranziehen.

Der aktuelle Tarifabschluss führt in den nächsten zwei Jahren nominal zu einer deutlichen Steigerung des Bruttojahresverdienst. Im Januar 2023 wurde eine steuerfreie Inflationsprämie von 1500 € gezahlt. Außerdem erhöht sich der monatliche Grundverdienst ab Juni 2023 um 5,2 %. Im März 2024 wird der zweite Teil der Inflationsprämie von 1500 € ausgezahlt und zum 1. Mai 2024 wird der monatliche Grundverdienst um weitere 3,3 % erhöht. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 24 Monate und somit sind neue Gehaltsverhandlungen erst ab November 2024 möglich. [4]

In der folgenden Tabelle ist die Entwicklung des Jahresgehalts für die Tarifstufe EG 10 für die Jahre 2021 bis 2024 unter Berücksichtigung des aktuellen Tarifabschlusses angegeben. Wir nehmen an, dass es sich um eine ledige Person in der 1. Steuerklasse ohne Kinder handelt, die keine Kirchensteuer und einen Krankenkassenzusatzbeitrag von 1,6 % zahlt.

Jahr2021202220232024
Bruttojahresverdienst in €51031517245339755662
Nettojahresverdienst in €31910325253540136569
Jährliche Gehaltsänderung Netto [5]1,9 %8,8 %3,3 %
Inflationsrate [6] [7]2,7 % (ab 1. April)8,7 %6,0 %2,8 %
Tabelle 1: Entwicklung des Bruttojahresverdienst, Nettojahresverdienst, und prozentuale Gehaltsänderung für die EG 10 der IG Metall NRW Tarifkarte für die vergangenen und kommenden zwei Jahre. Zusätzlich ist die Inflationsrate angegeben. Für 2024 werden die gleichen Steuern und Abgaben wie für 2023 angenommen. Die Inflationsraten für 2023 und 2024 sind Schätzungen der Bundesregierung.

Entscheidend für die Entwicklung der Kaufkraft ist der Nettoverdienst. Vergleicht man die Entwicklung von Nettoverdienst und Inflationsrate ist ersichtlich, dass insbesondere im Jahr 2022 unsere Versuchsperson einen hohen Kaufkraftverlust hinnehmen musste. Während die Inflationsrate bei 8,7 % lag, kam als Verdienstzuwachs nur das Transformationsgeld (jährliche Einmalzahlung von 18,4 % eines Monatsverdienst) hinzu, welche auf Jahressicht einer Verdienststeigerung von 1,9 % netto entsprach und somit nur im geringen Maße den Kaufkraftverlust kompensieren konnte.

Für die Jahre 2023 und 2024 sieht das Bild wesentlich besser aus. Der hohe Tarifabschluss der IG Metall führt hier netto zu Verdienststeigerungen von 8,8 % bzw. 3,3 %. Die Bundesregierung prognostiziert für diese Jahre eine abnehmende Inflationsrate von 6,0 % bzw. 2,8 % (es gibt aber auch pessimistischere Prognosen, dazu weiter unten mehr). Tritt diese Prognose tatsächlich ein, kann unsere Versuchsperson in diesen Jahre also wieder mit einer Zunahme des Reallohns und damit seiner Kaufkraft rechnen. Dafür sind in großem Maße die vereinbarten steuerfreien Inflationsprämien von jeweils 1500 € im Jahr 2023 und 2024 verantwortlich. Je geringer das Gehalt, desto stärker führen diese zu einer Entlastung.

Aber wie sieht es für den Gesamtzeitraum vom 1. April 2021 (letzter Tarifabschluss) bis Ende 2024 (Gültigkeit des aktuellen Tarifabschluss) aus?

Die kumulierte Inflation für diesen Zeitraum beträgt 21,6 %. Der Gehaltszuwachs von 2021 bis 2024 beträgt netto hingegen nur 14,6 %. Über den Gesamtzeitraum kann der durchaus starke Tarifabschluss der IG Metall unter diesen Annahmen den Kaufkraftverlust durch die Inflation nicht ausgleichen. Außerdem gibt es für die Inflationsraten 2023 und 2024 auch noch pessimistischere Prognosen. So prognostiziert die Bundesbank für 2023 eine Inflation von 7,2 % und für 2024 von 4,1 %. Zieht man diese Prognose heran, ergibt sich für den Gesamtzeitraum eine kumulierte Inflation von 24,6 %. In diesem Fall läge der Kaufkraftverlust damit bei genau 10 %.

Auch fallen ab 2025 dann die steuerfreien Sonderzahlungen weg, die den Beschäftigen zunächst eine spürbare und schnelle Entlastung gewährten. Der Wegfall wird die Reallohnentwicklung ab 2025 insbesondere bei geringen Gehältern, die zuvor prozentual sehr stark profitiert haben, erheblich belasten. Außerdem kann man davon ausgehen, dass durch die Zahlung dieser Prämien die prozentuale Steigerung des regulären monatlichen Grundverdienst geringer ausgefallen ist als ohne diese Prämien. Dadurch gehen langfristig Zinseszinseffekte bei zukünftigen Gehaltssteigerungen verloren. Einmalzahlungen sind somit nicht nachhaltig. Ökonomen gehen aber auch davon aus, dass diese Einmalzahlungen die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale eindämmen, eben weil die Einmalzahlungen keine nachhaltige Auswirkung auf die Gehaltsstruktur haben. Am Ende könnten Beschäftigte somit von einer etwas geringeren Inflation in der Zukunft profitieren.

Quellen

[1]: Statistisches Bundesamt, Entwicklung des Reallohn- und Nominallohnindex

[2]: Statistisches Bundesamt, Entwicklung der Bruttomonatsverdienste

[3]: IG Metall, Tarifkarte 2021-2022 NRW

[4]: IG Metall, Tarifkarte 2022-2024 NRW

[5]: https://www.brutto-netto-rechner.info/#

[6]: Tagesschau, Prognose zukünftiger Inflationsraten

[7]: Statistisches Bundesamt, Entwicklung Verbraucherpreisindex

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Adam

    Es hängt stark davon ab, welchen Zeitraum man betrachtet. Es ist bedauerlich, dass du die Zeit während Corona ausgelassen hast. Ich hatte das Gefühl, dass es während dieser Zeit keine Inflation gab. Wie sähen die Zahlen aus, wenn man die Zeit während Corona und die aktuelle Zeit zusammen betrachtet?

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